Geschlecht im Spannungsfeld von Medizin und Recht – Eine Frage der Kultur?
Geschlecht im Spannungsfeld von Medizin und Recht – Eine Frage der Kultur?
Veranstaltungsreihe „Biologie – Kultur – Recht: Perspektiven auf Geschlecht“ an der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Dieser Einführungsvortrag zur Geschlechterdiversität zeigt einerseits medizinische Perspektiven zu kulturellen Mechanismen auf wie u.a. der Geschlechtszuweisung und deren Änderung, ihre Einbettung darin und hinterfragt diese andererseits durch Einbindung inner- sowie außermedizinischer Betrachtungsweisen. Damit soll Studierenden der Rechts- und Kulturwissenschaften ein kritischer Blick auf jenes Fachgebiet eröffnet werden, das den Anspruch erhebt, das Geschlecht eines Menschen erkennen und diesbezüglich zwischen Gesundheit und Krankheit unterscheiden zu können, jedoch in jüngster verstärkt in den Verdacht geraten ist, durch seine Maßnahmen und Prozeduren, insbesondere durch Psycho- / Pathologisierung ohne wissenschaftlich belegten Krankheitsnachweis, seine Klientel altersunabhängig eher zu schädigen, als zu dessen Gesundheit beizutragen.
Die Einschreibung eines binär verfassten Geschlechtes als „weiblich“ oder „männlich“ in die Geburtsurkunde auf Basis einer medizinischen Festlegung, stellt einen der grundlegendsten kulturellen Prozeduren der Neuzeit dar. Die Existenz von Menschen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht einem der beiden genannten Standardgeschlechtern entsprechen, weist jedoch auf die fehlende Validität dieser Prozeduren hin. Ihr Geschlecht wird von sog. Fachleuten häufig als „uneindeutig“ bezeichnet, obwohl sie über eindeutige Geschlechtsmerkmale verfügen – ihre eigenen. In früheren Rechtsauffassungen (mittelalterliches Kanonisches Recht, Bayerischer Codex Maximilianeus 1756, Preußisches Allgemeines Landrecht 1794, Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen 1863) wurde bereits diesem Umstand Rechnung getragen, indem diesen Menschen die Möglichkeit gegeben wurde, sich selbst dem „weiblichen“ oder „männlichen“ Geschlecht zuzuordnen. Diese Möglichkeit wurde mit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ab 1900 entfernt.
Darüber hinaus gibt es Menschen, die sich trotz sog. eindeutiger Geschlechtsmerkmale nicht dem Zuweisungsgeschlecht zugehörig fühlen. Um ihnen den Wechsel in das „Gegengeschlecht“ zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber 1980 das sog. Transsexuellengesetz geschaffen, wobei er über die Eigenaussage eines Menschen hinaus Expertisen als Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrages zugrunde legte. Als Expert_innen wurden seither Psy* herangezogen, die Fragen zum geschlechtlichen Empfinden, der Dauer und der sog. Stabilität zu beantworten haben. In jüngster Zeit werden diese Expertisen vermehrt in Frage gestellt, sind und bleiben sie doch abhängig von der Selbstaussage eines Menschen. Unbeantwortet bleibt die Frage, wer das Geschlecht eines Menschen kennt. Oder eher wer legt es fest und nach welchen Kriterien? In der Rechtssache Goodwin erklärte der Europäische Gerichtshof 2002, dass heute nicht mehr von rein biologischen Kriterien ausgegangen werden kann. In der Sache van Kück präzisierte er 2006, dass die Geschlechtsidentität bzw. die Selbstbestimmung das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Geschlechtes darstelle.
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